piwik no script img

Präsidentschaftswahlen in BolivienBewegung weg vom Sozialismus

In Bolivien wird über den nächsten Präsidenten in der Stichwahl entschieden – zwischen einem Christdemokraten und einem Rechten. Die Linke ist abgeschlagen.

Nach Tiktok-Wahlkampf auf Platz 1: Boliviens christdemokratischer Überraschungssieger Rodrigo Paz Foto: Natacha Pisarenko/ap

La Paz taz | „Wir müssen die Herzen öffnen, um eine Einheit zu bilden“, sagte Rodrigo Paz bei der Feier mit seinen Anhänger*innen. „Wir müssen die großen Mehrheiten einbeziehen, denn man muss mit Mehrheiten regieren.“ Und: „Wenn Gott uns bittet, uns um Bolivien zu kümmern – dann müssen wir verdammt noch einmal auf ihn hören!“

Paz ist der Überraschungssieger der bolivianischen Präsidentschaftswahlen vom Sonntag und geht als Favorit in die Stichwahl im Oktober. Nach einer Schnellauszählung der Wahlbehörde von mehr als 90 Prozent der Stimmen stimmten 32 Prozent der Wäh­le­r*in­nen für den christdemokratischen Senator.

Der rechtsgerichtete Ex-Präsident Jorge „Tuto“ Quiroga (Libertad y Democracia) landet mit rund 27 Prozent auf dem zweiten Platz. Der Umfragen-Favorit, der Baulöwe und Multimillionär Samuel Doria Medina, landet mit rund 19 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz. Er hat angekündigt, Paz zu unterstützen.

Rodrigo Paz ist der Sohn von Jaime Paz, der Bolivien von 1989 bis 1993 als Präsident regierte. Er will den Regionen mehr Einnahmen des Zentralstaats zukommen lassen, Steuern und Zölle senken. Eine Justizreform und den Kampf gegen die Korruption hat er sich auch auf die Fahnen geschrieben. Die bolivianische Wirtschaft, die sich in der schlimmsten Krise seit 40 Jahren befindet, will er ohne Geld aus dem Ausland, also aus eigener Kraft wieder aufpäppeln. „Kapitalismus für alle“ und „Geld für alle“ waren seine Sprüche in einem Wahlkampf, den er praktisch ohne Budget komplett auf Tiktok und den sozialen Medien führte. Und per Mund-zu-Mund-Propaganda.

Die MAS-Partei entgeht nur knapp der Löschung

Noch mehr als der Kandidat selbst hat wohl sein Vize die Massen angezogen. Edman Lara, genannt „Capitán Lara“ (Hauptmann Lara), ist ein ehemaliger Polizist. Er wurde von Polizeiführung und Justiz verfolgt, inhaftiert und aus dem Polizeidienst entlassen, weil er die Korruption seiner Vorgesetzten angezeigt hatte. Die beiden präsentierten sich als Outsider-Duo.

Paz’ Konkurrent Jorge „Tuto“ Quiroga, der in Umfragen knapp hinter Samuel Doria Medina auf dem zweiten Platz gelegen hatte, dankte in seiner Rede Rodrigo Paz’ Vater, dass dieser ihm als junger Mann eine Chance gegeben habe. „Die bolivianische Demokratie hat gesiegt“, sagte Quiroga und gratulierte Paz.

Der Kandidat der Regierungspartei MAS, Eduardo del Castillo, erzielte knapp über 3 Prozent – damit entgeht die Partei hauchdünn der Löschung. Die MAS-Partei war an monatelangen internen Streitereien zerbrochen: Ein Flügel unterstützt den unbeliebten amtierenden Präsidenten Luis Arce, ein zweiter den Ex-Präsidenten Evo Morales. Die beiden ehemaligen Parteifreunde sind sich heute spinnefeind.

Arce hatte seine Kandidatur zugunsten von seinem Minister del Castillo zurückgezogen. Der amtierende Präsident zeigte sich stolz: Trotz interner und externer Angriffe habe die Regierung einen friedlichen und transparenten Wahlprozess gewährleistet. Der Wahltag sei ein Sieg der Demokratie.

Als dritter im linken Spektrum trat Andrónico Rodríguez an – einst Schützling von Evo Morales und ebenfalls vorher MAS-Mitglied. Er kam mit rund 8 Prozent auf den vierten Platz.

Morales, dem ersten indigenen Präsidenten des Landes, hatte ein Gericht die Teilnahme an der Wahl verboten. Er hatte eine Kampagne gefahren, aus Protest ungültig zu wählen. Rund 19 Prozent der Wäh­le­r*in­nen stimmten ungültig, rund 2 Prozent ließen den Wahlzettel leer. Der Wert ist höher als üblicherweise. Allerdings ist unklar, ob aus Unterstützung für Morales oder aus Protest gegenüber der restlichen Kandidaten-Auswahl. Morales inoffizielle neue Partei Evo Pueblo kommentierte das Ergebnis: „Das Volk ist seinem Anführer Evo Morales Ayma treu.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare